Anmerkungen zum Artikel „Die Idee der Netzneutralität ist überholt“ von Wiwo-Autor Jürgen Berke
In seinem Artikel stellt Jürgen Berke, Redakteur der WiWo-Redaktion, die Netzneutralität infrage und besteht darauf, dass verschiedenen Nutzern, unterschiedliche Datenübertragungsgeschwindigkeiten zur Verfügung gestellt werden müssten. Hierbei würden die Anwender, die eine höhere Geschwindigkeit wünschen, dafür auch mehr bezahlen müssen. Er argumentiert damit, dass beispielsweise die Wirtschaft oder Anwender, die auf eine schnelle Übertragung angewiesen seien, sich auch auf eine kontinuierliche und schnelle Vermittlung verlassen können müßten. Dazu entwirft er Horrorszenarien, wie „Verzögerungen von Sekundenbruchteilen werfen das selbstfahrende Auto aus der Spur, lassen die Produktion in der computer- und internetgesteuerten Fabrik 4.0 zusammenbrechen und den Chirurgen vor dem erstarrten Bild auf dem Monitor kapitulieren.“
Tatsächlich singt er nur das alte Lied des Kapitalismus: „Wie finden wir neue Argumente, um noch mehr Kohle zu generieren, mögen diese auch noch so fadenscheinig sein?“
Und nur darum geht es, denen noch mehr Vorteile zu verschaffen, die Geld haben, nur weil sie Geld haben.
Denn auch seine, Berkes, Argumentation, dass die Netzbetreiber ihre Netze nur ausbauen würden, wenn sie einen Anreiz dafür bekämen, ist so nicht haltbar. Wir sehen es beispielsweise auf dem Energiemarkt auf dem die Betreiber dazu verdonnert werden, die Stabilität des Stromnetzes zu sichern. Und trotz dauerndem Gejammers, das Netz bräche bei nächster Gelegenheit zusammen, dies sehr wohl tun. Und das sollte auch im Netz gehen. Schließlich ist es systemimmanent, dass eine Industrie zur Wahrung und Aufrechterhaltung ihrer Produktionsanlagen, regelmäßig investieren muss. Es gibt also gar keinen Grund, hier eine Mehrklassengesellschaft zu etablieren, bei der einige wenige, der großen Masse gegenüber, Vorteile erringen.
Berke behauptet, Netzneutralität sei überholt. Tatsächlich ist es seine eigene Argumentation, die überolt ist. Erinnern sich doch viele noch daran, als es in Deutschland nur einen einzigen Anbieter für das Internet gab – und wie er mit seinen Kunden umsprang. Tatsächlich mußte damals jede angefangene Minute Internet gezahlt werden. Also versuchten die Nutzer hinein zu kommen, doch kaum waren sie drin, flogen sie auch schon wieder hinaus. Die Einwahl mussten sie dennoch bezahlen. Manche Rechnung sah entsprechend aus. 75 – 85 % wurden für nicht erbrachte Leistungen gezahlt, da die Nutzer immer wieder versuchten, das Netz zu erreichen, um immer wieder abgewiesen zu werden. Das hatte damals dann auch zu dem extremen Kundenschwund geführt, als weitere Internetanbieter den Markt stürmten. Will wirklich irgendjemand diese Zeiten zurück? Das kann ich mir nicht vorstellen.
Die Verhältnisse von damals hätten mit dem Verschwinden der Netzneutralität nur eine neue Qualität. Die, die Geld haben, werden sich das Netz leisten können, die die weniger haben, bewegen sich faktisch nicht mehr. Das würde dazu führen, dass die Nutzer entweder alle sehr viel mehr Geld für den Datentransfer zahlten, oder das eine große Zahl von Nutzern aus dem Netz ausgeschlossen würde. Schon heute gibt es bei vielen Anbietern den Baukasten Geschwindigkeiten von: 6.000, 16.0000 usw. Selbst das ist schon für Anwender durchaus problematisch. Bleiben sie doch schon heute, mit einem 6.000er Anschluss bei hohem Datenverkehrsaufkommen, im Netz hängen. Und es soll erstrebenswert sein, dass noch weiter zu forcieren?
Das einzige, was dieser Artikel beweist ist, dass Herr Berke die Wirtschaft und deren Ziele über alles stellt. In seinen Augen hat sich ihr alles und jeder unterzuordnen. Gerade diese Kapitalhörigkeit ist es, die unsere Gesellschaft weiter spaltet. Nein, nicht die Netzneutralität ist überholt, sondern der sich entsetzlich ausdehnende Kapitalismus. Und ja, ich weiß, dass die Netzneutralität abgeschafft wird, weil sich die die Wirtschaft anbetenden Lobbyisten faktisch immer durchsetzen, früher oder später. Denn wenn es möglich ist, irgendwo Kohle abzugreifen, ist die Wirtschaft extrem erfinderisch. Aber genau dieses kapitalistische Denken, wird das Internet für den Normalnutzer unattraktiv machen, wenn er sich die teureren Datentransfers nicht leisten kann. Das wiederum wird zu einem Kundenschwund führen. Es ist fraglich, ob dann die höheren Rechnungsbeträge einiger Weniger, die große Menge der vielen kleineren Rechnungsbeträge werden auffangen können.
Und: Ein Netz, das vom Otto-Normalverbraucher nicht mehr genutzt wird? Ob sich das NSA, BND etc. gefallen lassen werden? 😉